Sabine Brunner

«Paartherapie ist eine Art Kür.»

Viele Paarthemen sind ewige Themen von Therapie und Beratung – einfach in einem besonders fordernden Setting. Die Paar- und Sexualtherapeutin Angelika Eck erläutert im Gespräch mit Anna Gunsch Ihren Zugang zur Arbeit mit Paaren und warum es sich lohnt, sich darauf zu spezialisieren.


Was beschäftigt Paare heute? Was sind die aktuellen Fragestellungen, mit denen Sie in der Paartherapie konfrontiert sind?

Ich erlebe die Fragestellungen von Paaren sehr lebensphasenspezifisch. Ältere Paare ringen mit Differenzen, Enttäuschungen und dem Wunsch nach lebendiger Paarbeziehung in der verbleibenden Lebenszeit. Paare in der sogenannten Rush Hour des Lebens kommen mit den Auswirkungen multipler Stressoren auf die Paarbeziehung, junge Paare mit Optimierungsdruck oder zum Beispiel mit der Frage, ob die Beziehung wegen fundamentaler Unterschiede nicht gleich zum Scheitern verurteilt ist, oder weil die Sexualität nicht gelingen will.

Sind über die letzten Jahre Veränderungen in den Themen und Anliegen der Paare festzustellen?

Viele Paarthemen sind ewige Themen: Konfliktmuster, Entwicklungsübergänge, sich verändernde und diskrepante Bedürfnisse, Umgang mit Belastungen. In den letzten Jahren bekomme ich vermehrt Anfragen, Paare beim Experimentieren mit nichtmonogamen Beziehungsformen zu unterstützen. Der Einfluss der Pandemie als Belastungsfaktor hat in meiner Praxis zu zweierlei Beobachtungen geführt: Viele Paare im Konflikt unterschätzten aus meiner Sicht, wie viel Spannung die pandemiebedingten Belastungen mit sich brachten. Sie erlebten es als reinen Paarkonflikt mit den entsprechenden wechselseitigen Vorwürfen. Andere polarisierten sich um zugespitzte Wertekonflikte. Ein hoher Anspruch an Gleichberechtigung in der Beziehung und das Scheitern daran in der Familienphase sind nicht neu, aber zeitgenössisch. Insgesamt sind die Erwartungen von Menschen an ihre Paarbeziehung heute sehr hoch. Suboptimale Bedingungen werden nicht gut ausgehalten. Müssen sie ja auch nicht. Aber die Erwartung, dass die Paarbeziehung mir ungetrübtes Glück bescheren soll, ist kein nützlicher Massstab.

Was sind die Besonderheiten der systemischen Paartherapie? Was unterscheidet sie von anderen Ansätzen?

Das ist eine gute Frage. Sie kann, je nachdem, wen Sie fragen, unterschiedliche Antworten hervorbringen. Auf den ersten Blick könnte man sagen: Zirkuläre Sichtweisen auf Konfliktmuster legen doch alle Paartherapieansätze zugrunde, sind sie dann nicht alle systemisch orientiert? Das ist keineswegs so. Konstruktivistisches und kontextbezogenes Denken sowie Veränderungsneutralität sind für mich zentrale Besonderheiten gegenüber anderen paartherapeutischen Ansätzen. Lange Zeit waren sie für mich selbstverständlich, über die Jahre schätze ich die systemischen Herangehensweisen immer bewusster. Sie lassen Raum, sind wandelbar und dennoch präzise und für eine ganze Bandbreite von Fragestellungen und Konflikten tauglich.

«Die Erwartungen von Menschen an ihre Paarbeziehung sind heute sehr hoch.»

Wie sind Sie zu Ihrer Spezialisierung gekommen?

Durch prägnante Vorbilder und den richtigen Moment: Ich traf im Praktikum in Heidelberg bei der Internatio- nalen Gesellschaft für systemische Therapie (IGST) auf Ulrich Clement und Arnold Retzer. Deren Denkweise gefiel mir. Und da dachte ich: Oha, mit Paaren arbeiten wäre interessant! Zudem war es lebenspraktisch passend für mich, mich auf Paartherapie zu spezialisieren. Ich hatte Musik studiert und dann Psychologie, dann promovierte ich noch und wurde parallel bereits Mutter. Eine lange Zusatzausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin in Deutschland wollte ich nur bedingt und war froh, mich mit der Paar- und Sexualtherapie bald selbstständig machen zu können.

Was ist für Sie nach wie vor spannend und herausfordernd daran?

Spannend sind für mich die Wirklichkeiten, die Paare miteinander erzeugen. Schon an meiner Praxistür gucke ich neugierig, wie die beiden daherkommen und miteinander umgehen. Therapeutisch geht es immer wieder um das Balancieren des kommunikativen Prozesses, um eine aktive Prozesssteuerung, die sowohl Halt geben als auch Konfrontieren beinhaltet und die Klärung und Verständigung wahrscheinlicher machen will. Der Gesprächsprozess ist interessant für mich. Herausfordernd finde ich in der Paartherapie, wenn der Fall komplex ist und ich das Gefühl habe, nicht «durchzusteigen». Oder wenn ein Konflikt über längere Zeit verhärtet bleibt.

«Sex ist komplex und eine Projektionsfläche für Bedeutungen aller Art.

Welche speziellen Herausforderungen sehen Sie für sich als Therapeutin in den Themen Intimität und Sexualität?

Die sexuellen Konflikte gehören zu den ewigen Themen von Langzeitpaaren. Selten gibt es da einfache Lösungen im Sinn von schlichter Ressourcenaktivierung oder einfachen Interventionen zur Musterunterbrechung. Sex ist komplex und eine Projektionsfläche für Bedeutungen aller Art. Sexuelle Differenzen gehen oft tief. Wir haben es oft mit existenziellen Konflikten zu tun, die den Paaren viel Entwicklungsbereitschaft abverlangen. Das Anerkennen von Unterschieden und Begrenzungen kann in diesem Bereich besonders gut geübt werden.
Sie werden in der IEF-Weiterbildung zur Paartherapie und -beratung als Dozentin mitwirken.

Was möchten Sie den Teilnehmenden mitgeben – auch spezifisch zum Themenbereich Sexualität?

Freut euch auf die Tätigkeit mit Paaren! Paartherapie ist für mich das interessanteste Setting. Wegen der Dynamik und weil das ganze Leben mit den Paaren zur Tür hereinkommt, das bringt eine grosse Themenvielfalt. Wer existenzielle Themen mag, ist hier richtig. Sexualtherapie ist ein Fenster, in ihr geht es oft nicht um Sex, sondern um mit Sexualität verknüpfte Themen der Person und des Paares. Insofern kann Sexualtherapie umfassende Entwicklungsprozesse anstossen. Das macht die Therapie interessant, lebendig und gehaltvoll.

Inwiefern können auch erfahrene Therapeut:innen von einer Weiterbildung in systemischer Paartherapie profitieren?

Die Weiterbildung in systemischer Therapie wird der Komplexität von Paarbeziehungen, den Besonderheiten des Settings und der Vielfalt von spezifischen Prozessfragen und Interventionsmöglichkeiten aus meiner Sicht nicht gerecht, dafür ist zu wenig Zeit. Von Kolleg:innen ohne Spezialisierung höre ich immer wieder, dass sie sich an Paare nicht recht herantrauen. Paartherapie ist für mich eine Art Kür, das heisst ein besonders forderndes Setting. Es lohnt sich, sich zu spezialisieren. Dies auch mit Blick auf das berufliche Feld beziehungsweise den Markt. Paartherapie kann als eigene Profession angesehen werden.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Angelika Eck ist systemische Paartherapeutin und Sexualtherapeutin in eigener Praxis in Karlsruhe. Sie ist als Dozentin tätig und gehört zum Team der Lehrtherapierenden des Helm Stierlin Instituts in Heidelberg: Mehr informationen: www.angelikaeck.de. Am IEF wird sie das Modul «Intimität und Sexualität» der neuen Weiterbildung «Systemische Paartherapie und -beratung» gestalten. Diese modulare, 10-tägige Weiterbildung beginnt am 15. September 2023.