Günter Schiepek IEF

«Das Erleben ist stark an das Miteinander geknüpft.»

Wie geht das IEF mit der Corona-Pandemie um?
Bewährt sich das Lernen auf Distanz?
Anna Gunsch hat das Corona-Jahr 2020
als Co-Bereichsleiterin des Instituts und als Teilnehmende einer Weiterbildung erlebt.

 

Wie hast du als Mitverantwortliche für den Bereich «Systemische Psychotherapie» die verschiedenen Phasen der Einschränkungen in der Weiterbildung erlebt?

Zu Beginn des Lockdowns im Frühling 2020 haben wir uns am IEF entschieden, die Weiterbildungen auf eine digitale Videokommunikation via «Zoom» umzustellen. Wir wollten den Weiterbildungsbetrieb aufrechterhalten und keine Seminare absagen. Das war organisatorisch ziemlich anspruchsvoll, hat aber gut geklappt. Die Planung der Seminare zusammen mit den Dozierenden war zeitintensiv, sowohl technisch, organisatorisch wie auch didaktisch. Am Anfang konnten wir uns nicht vorstellen, einen ganzen Seminartag zu «zoomen», und haben deshalb zusätzlich Podcasts produziert und vermehrt Leseaufträge gegeben. Es war eine tolle Erfahrung, zu erleben, wie alle Dozierenden bei dieser Umstellung mitgemacht und ihr Bestes gegeben haben – auch diejenigen, die am Anfang Vorbehalte hatten. Die Studierenden waren dankbar, dass ihre Weiterbildung nicht unterbrochen wurde, und haben sich schnell an das neue Format gewöhnt. Gegen den Sommer hin konnten wir unsere Veranstaltungen wieder physisch durchführen; mit Abstand und Trennwänden in grossen Räumen. Zum Teil führten wir die Seminare auch «hybrid» durch, das heisst, ein Teil der Teilnehmenden war im Seminarraum, die anderen daheim. Oder die Gruppen wurden aufgeteilt und wechselten sich im Präsenzunterricht ab. So konnten wir unsere Räume im IEF nutzen und dennoch die Abstandsregeln einhalten.

Jetzt haben wir wieder ganz auf Videounterricht umgestellt. Es ist toll, wie routiniert und entspannt alle Beteiligten unterdessen mit diesem Medium umgehen. Die Sicherheit im Umgang mit dem Medium schafft mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Gerade die virtuelle Gruppenarbeit bewährt sich sehr. Der manchmal mühsame Organisationsaufwand fällt weg: Wer geht in welche Gruppe und wo trifft sich diese? Auf digitalem Weg ist das mit einem Knopfdruck organisiert.

Wo siehst du einen Gewinn in den veränderten Lernformen?
Wo siehst du die Schwierigkeiten und Grenzen des digitalen Lernens?

Ich bin beeindruckt, welche Lern- und Anpassungsleistungen wir alle in vielen Lebensbereichen in einer enormen Geschwindigkeit vollbracht haben. Digitale Seminare benötigen deutlich mehr Rhythmisierung und Pausen als Seminare vor Ort. Plenumsdiskussionen brauchen via Videoübertragung eindeutig mehr Moderation und Strukturierung. Im Plenum verhalten sich viele eher abwartend, und die Dozierenden spüren viel weniger, wo ihre Gegenüber im Moment stehen. Es braucht eine grosse Präsenz der Dozierenden, um die feinen Zeichen lesen zu können.

Spannend war auch die Erfahrung, dass wir bei der Gestaltung der Seminare von der einen Gruppe nicht auf die andere schliessen konnten, die Bedürfnisse waren sehr unterschiedlich. Es war anspruchsvoll, zwischen den manchmal nicht ganz eindeutigen gesundheitspolitischen Vorgaben, den organisatorischen Möglichkeiten des Instituts und den oft breit gestreuten Bedürfnissen der Teilnehmenden einen gangbaren Weg zu finden.

Gleichzeitig hast du letztes Jahr an der Weiterbildung in «Systemischer Supervision» teilgenommen und hast das Social-Distance-Learning auch in der Rolle der Lernenden wahrgenommen?

Ja, unseren Weiterbildungsgang hat’s voll erwischt. Wir haben alles erlebt: Anfang 2020 hatten wir zwei Module noch vor dem Lockdown. Der dritte Block fand via Video statt. Der vierte Block im Sommer war live in einem besonders grossen Kursraum. Der fünfte Teil war hybrid, die eine Hälfte der Teilnehmenden anwesend, die andere via Video dabei. Und das sechste Modul im Spätherbst fand dann wieder ganz via digitale Videoübertragung statt. Das ganze Programm!

«Es braucht eine grosse Präsenz, um die feinen Zeichen lesen zu können.»

Ich kann mich noch gut an den ersten ganzen Video-Kurstag von 9 bis
17 Uhr erinnern. Ich war zuerst skeptisch, das hat dann aber sehr gut geklappt. Unser Dozent, Mirko Zwack, hat den Tag sehr abwechslungsreich und klar gestaltet. Die Gruppe hatte sich zuvor schon «live» kennengelernt, insofern hat das bestens geklappt. Wobei ich sagen muss, dass wir am
IEF auch Weiterbildungsgänge hatten, da hat sich die Gruppe bisher «nur» via Video kennengelernt, und auch das hat gruppendynamisch hervorragend funktioniert.

Was ist anders, wenn wir nicht physisch im gleichen Raum zusammen sind und gemeinsam lernen?

Wenn ich an die ganze Weiterbildung zurückdenke, so bleibt mir der sonnige Vormittag damals in der Bäckeranlage in lebhafter Erinnerung. Das Erleben ist stark an das Miteinander geknüpft. Punkto Lerneffekt habe ich nicht das Gefühl, dass es einen Unterschied gibt, ob der Unterricht in Präsenz oder via Video stattgefunden hat. Entscheidend ist, dass ich an den Stoff anknüpfen kann, und das geschieht unabhängig vom Medium.

Wenn du im gleichen Raum bist, bekommst du von deinem Gegenüber schon mehr mit. Bei den Gruppenübungen gelang es zum Teil gut, das Gefühl zu bekommen, zusammen in einem Raum zu sein. Schön war es in den Videoseminaren auch, wenn es gelang, die Ebenen zu verbinden und das Analoge in den digitalen Raum einzubauen, zum Beispiel in Form einer System-Aufstellung mithilfe von Objekten, die gerade zur Hand waren.

Macht sich nicht langsam auch ein Überdruss in Bezug auf die digitalen Lernmittel breit?

Zu Beginn war die Freude der Studierenden, dass die Weiterbildungen trotz Lockdown weitergeführt werden konnten, sicher grösser als jetzt. Einen Überdruss haben wir bisher nicht festgestellt. Die aktuelle Haltung lässt sich vielleicht so umschreiben: «Es ist, wie es ist. Machen wir das Beste daraus.» Die Seminare über Video verlangen von allen viel Disziplin und Konzentration. Das kostet Energie, die vielleicht den Gewinn, dass wir nicht zum Lernort pendeln müssen, gerade wieder auffrisst.

Nun hören wir oft, dass sich unsere Teilnehmenden sehr darauf freuen, sich irgendwann wieder vor Ort richtig zu treffen. Es ist schon auch schön, ans IEF zu kommen. Du bist an einem angenehmen Ort und weder im Trubel zu Hause noch bei der Arbeit. Es gibt Rituale, zum Beispiel die Pause mit Kaffee und Gipfeli. Es ist eine vertraute Atmosphäre und du siehst deine Gruppe wieder.

Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.

 

Das Gespräch mit Anna Gunsch wurde Anfang Januar 2021 geführt und ist publiziert im IEF-Magazin Nr. 12, Frühling 2021.