Hugo Grünwald

«Die Metapher ist die Tür ins Netzwerk
der Klient:innen.»

Wie machen wir schwierige Sachverhalte erfahrbar?
Welche besondere Kraft haben Metaphern? Welche Rolle spielt der Selbstwert? Die Psychotherapeutin Frauke Niehues zeigt im Gespräch mit Peter Hain, wie sie im Umgang mit Scham oder chronischen Schmerzen arbeitet.

 

Peter Hain: Frauke, Du bist nicht nur als Psychotherapeutin und Ausbilderin unterwegs, sondern auch als Herausgeberin einer «Kompetenzbox» mit dem Schwerpunkt Impacttechniken. Was können wir uns unter Impacttechniken vorstellen?
Frauke Niehues: Impacttechniken sind Techniken, die komplexe psychologische Sachverhalte auf den Punkt bringen und begreifbar machen. Dazu nutzen wir wenn möglich Alltagsgegenstände und versuchen über eine Metapher, die wir materialisieren, etwas erfahrbar zu machen, was sonst vielleicht im Kognitiven bleiben oder nicht als Ganzes erfasst werden würde.

 

Könntest Du ein Beispiel dafür nennen?
Wenn eine Person ein niedriges Selbstwertgefühl hat, weil sie schlecht behandelt wurde, dann zeige ich ihr einen 50-Franken-Schein und frage, was der wert ist. Die Person wird sagen: «50 Franken!», und ich werde ihr zustimmen. Dann nehme ich diesen Geldschein, knülle ihn zusammen, schmeisse ihn auf den Boden, trete drauf und behandle ihn schlecht. Dann heb ich ihn wieder auf und frage, was er jetzt wert ist. Oft laufen die Tränen, die Leute sind sehr berührt und bekommen vielleicht zum ersten Mal die Idee, dass ihr Wert unabhängig davon ist, wie sie behandelt wurden. Das Beispiel macht deutlich, welch grosse Wirkung Impacttechniken haben können. Wir haben ein komplexes Konzept in ganz kurzer Zeit
spürbar auf den Punkt gebracht. Zum Thema Selbstwert setze ich für Menschen, die oft verkannt werden, negatives Feedback bekommen oder Mobbing-Erfahrung haben, gerne auch eine Quarzdruse ein. Diese Steine kennst du vielleicht vom Weihnachtsmarkt, sie sehen von aussen unscheinbar, wenn nicht sogar hässlich aus. Wenn wir sie aber öffnen, sehen wir im Innern wundervoll funkelnde Kristalle. Das wirkt und man muss gar nicht mehr viel dazu sagen.

«Ihr Wert ist
unabhängig davon, wie sie
behandelt wurden.»

Das ist spannend, Metaphern vermitteln somit Würdigung und Kompetenzzuschreibung.
Mit Metaphern können Netzwerke und Konzepte sehr umfassend aktiviert werden. Wenn ich zum Beispiel die Metapher «Das Boot ist voll» anbiete, entsteht innerlich ein Bild, die meisten denken sofort an ein Boot auf dem Meer. Jeder weiss, dass, wenn noch jemand in ein volles Boot auf dem Meer hinzukommt, eine gefährliche, wahrscheinlich sogar lebensgefährliche Situation entsteht. Hierdurch entsteht Angst. Jedes Gefühl geht mit einem Handlungsimpuls einher, bei Angst ist es Flüchten und die Gefahr vermeiden. Hierdurch rücken die Idee und der Handlungsimpuls näher, niemanden mehr hereinzulassen. Wenn wir eine Metapher nutzen, dann werden sowohl rationales Wissen als auch Emotionen, sinnliche Erfahrungen und Handlungsimpulse aktiviert. Dies alles geschieht auch auf vor- und unbewussten Ebenen. Mit Impacttechniken materialisieren wir die Metaphern auch noch und ermöglichen einen multisensorischen Zugang.

 

Impacttechniken entfalten eine besondere Wirkung?
Impacttechniken sind eine besondere Art, metaphorisch in den Kontakt zu gehen, sich auszudrücken und damit auch Informationen auszutauschen. Manches kann man rational nicht beschreiben. Über Metaphern und das gemeinsame Begreifen oder Spüren können wir uns anders vermitteln und in Kontakt gehen. Und das ist wunderbar. Es ist eine Möglichkeit über die rationale Vorgehensweise und die übliche Sprache hinaus. Ebenso wichtig ist es, auch die Metaphern unserer Klienten aufzunehmen. Die Metapher ist die Tür ins Netzwerk der Klient:innen. Hierfür reicht oft ein Wort. Wenn mein Klient mit Depressionen zum Beispiel sagt: «Es ist alles so schwer», habe ich eine Idee, wie sich die Depression anfühlt, womit sie zu tun hat und wie das Lösungsnetzwerk aussehen kann. Ich kann die Metapher einfach aufgreifen und fragen: «Was macht es leichter?» Wenn er sagt: «Es fühlt sich so leer an», ist die punktgenaue Frage ins Lösungsnetzwerk: «Was erfüllt Sie?» Wenn mein Klient gegen Schmerzen oder Ängste «kämpft», stecken in der Formulierung wertvolle Hinweise über sein Verhältnis zu und seine Umgangsweise mit den Schmerzen oder Ängsten. Metaphorische Sprache beinhaltet viel Information und ermöglicht uns einen wunderbaren Zugang in das individuelle Netzwerk. Sie ermöglicht uns, sehr nah am Klienten zu arbeiten.

 

Metaphern sind auch bei der Arbeit mit chronischen Schmerzen nicht nur wichtig, um zu verstehen, sondern auch, um Veränderungen anzubahnen?
Ja, wir können Metaphern zum Beispiel nutzen, um weitere, dahinterliegende Themen zu entdecken. Die Aussage «Ich bin ein Gefangener meines Schmerzes» impliziert vielleicht auch Hilflosigkeit, Strafe, Schuld oder Sühne. So können wir das spezifische Netzwerk besser verstehen und auch, wie sich der Klient hinsichtlich des Symptoms strukturiert. Andererseits können wir über die Bilder Veränderungen anbieten und anstossen. Wenn jemand sagt: Der Schmerz fühlt sich an, als ob ein Messer in meinen Oberschenkel sticht, dann können wir fragen: Wie sieht das Messer aus? Angenommen, es wäre ummantelt, wie würde es sich dann anfühlen? Damit beginnen wir, etwas im Netzwerk zu verändern.

 

Bei chronischen Schmerzen, wenn Klienten gegen ihre Symptome kämpfen, wie kannst Du sie da rausholen aus ihrer Kampfhaltung?
Da biete ich eine Impacttechnik an, die über den Körper funktioniert: Ich gehe wirklich körperlich in eine Art Kampf mit den Klienten. Ich will mich zum Beispiel an ihnen vorbeidrängen, sie lassen mich aber nicht vorbei und dann fangen wir an zu kämpfen und schauen darauf, wie viel An- und Verspannung entsteht. Danach machen wir es so: Ich gehe auf sie zu; wenn ich bei ihnen bin, kämpfen sie nicht mit mir, sondern sie drehen sich um und wir gehen dann gemeinsam nebeneinander weiter. Man spürt sofort, wie viel entspannter
und leichter dies ist. Eine andere Impacttechnik ist, dass der Klient mir mit angewinkeltem Arm gegenübersteht. Ich versuche seinen Arm in seine Richtung zu drücken und er soll dies durch Gegendruck verhindern. Dieses Dagegenhalten kostet sehr viel Kraft und letzten Endes ist die Person immer auf mich ausgerichtet; ich bestimme, was sie macht und womit sie sich beschäftigt. Beim zweiten Mal beginnen wir gleich, aber nun soll die Person ihren Arm bewegen, wie sie will. Es ist erstaunlich, in dem Moment habe ich gar keine Chance mehr als Gegendrücker, sondern ich muss mitgehen. Die Person bleibt bei sich und überlegt, was sie jetzt machen will, und lässt sich nicht mehr auf das andere ein. Der Schmerz ist dann nicht mehr gegen sie, sondern auf eine andere Art und Weise einfach dabei. So können neue Erfahrungen entstehen.

«Über die Bilder können
wir Veränderungen
anbieten und anstossen.»

Scham und Würde spielen in diesen Prozessen eine wichtige Rolle, gerade auch bei Schmerzen. Was braucht es da, damit Klienten wieder zu einer würdevolleren Haltung kommen?
Auch bei Schmerzen ist der grösste Wirkfaktor das Beziehungserleben sowie die Haltung, die man hinsichtlich des Schmerzes vermittelt und ausstrahlt. Wie begreift man den Schmerz und den Menschen mit dem Schmerz, wie geht man mit ihm um? Hierdurch kann im besten Fall eine alternative Beziehungs- und Lernerfahrung gemacht werden, die Klienten internalisieren können. Ich wende bei Schmerzen oft eine Methode an, die ich aus der Paartherapie übertrage. Wir spielen ein Pärchen, das den Abend planen will. Übung 1: Egal, was der eine vorschlägt, der andere findet es nie gut. Es ist erstaunlich, wie schnell und intensiv eine destruktive Entwicklung eintritt. In der 2. Übung wird jeder Vorschlag begeistert und unterstützend aufgenommen. Daraus entwickelt sich üblicherweise ein toller Abend. Im letzten Schritt schlägt der eine etwas vor und der andere nimmt einen Teil an und einen Teil lehnt er ab bzw. verhandelt diesen. Nun übertragen wir das Ganze auf den Schmerz: Die Person setzt sich auf einen Stuhl und sagt etwas über ihren Schmerz. Dann setzt sie sich auf den anderen Stuhl und die Antwort wird abwertend, würdelos oder beschämend. Wir beobachten, was sich daraus entwickelt. Danach wiederholt der Klient das Ganze in einer absolut liebevollen und unterstützenden Haltung und wir beobachten, welchen Unterschied dies macht. Im dritten Schritt kann die Person nun eine realistische, ausdifferenzierte Haltung entwickeln, muss sich dabei aber immer mit einer wertschätzenden, konstruktiven Art begegnen. Das ist eine sehr effektive und manchmal sogar lustvolle Übung, die die Beziehung zum Schmerz wirksam verändern kann.

 

So kommen wir zurück auf den eingangs erwähnten Selbstwert, der für diese Integration eine zentrale Rolle spielt. Wie würdest Du Selbstwert beschreiben?
Meine Idee des Selbstwertes ist eine Art Schichtenmodell. Im Kern liegt das Grundgefühl, das stark durch unsere Bindungs- und Beziehungserfahrungen geprägt ist. Es bestimmt die Bandbreite des Selbstwertes. Wenn wir von einer Skala von 0 bis 10 ausgehen und jemand ein schlechtes Grundgefühl hat, sagen wir mal von 2, und dann etwas Tolles passiert, wird er nicht oder nur kurzfristig über eine 5 kommen. Wenn jemand einen sehr guten Selbstwert hat, vielleicht von 9, wird er, auch wenn schlimme Sachen passieren, nicht unter eine 5 rutschen.

Das Nächste ist die Selbstakzeptanz, die starken Einfluss auf die Stabilität des Selbstwertes nimmt. Je schlechter die Selbstakzeptanz ist, desto konditionaler ist der Selbstwert. Erlebe ich mich als grundsätzlich wertvoll und liebenswert mit all meinen Unzulänglichkeiten oder bin ich nur etwas wert, wenn ich z.B. intelligent, schön oder leistungsfähig bin? Es folgt die Selbstwirksamkeit. Diese ist die Überzeugung, ob ich Dinge erreichen oder etwas bewirken kann. Der letzte intrapsychische Faktor ist die Fähigkeitenpräsenz. Diese besagt, wie sehr mir meine Fähigkeiten an sich bewusst sind. Ich erkläre den Unterschied zwischen Fähigkeitenpräsenz und Selbstwirksamkeit immer mit der Metapher eines Handwerkskoffers: Wenn ich eine hohe Fähigkeitenpräsenz habe, weiss ich, welche Werkzeuge in meinem Koffer sind, zum Beispiel ein Hammer, eine Säge etc. Selbstwirksamkeit bedeutet, dass ich weiss, wie ich diese nutze, und es mir gelingt, damit das zu bauen, was ich möchte. Darüber hinaus ist der Selbstwert in ein System eingebettet.
Das System und der Selbstwert sind interdependent. Mein Selbstwert beeinflusst, wie ich in einem System auftrete, welche Rolle oder welchen Hierarchieplatz ich einnehme, hierdurch beeinflusse ich das System. Gleichzeitig hat jedes System seine eigenen Regeln. Wenn ich zum Beispiel in einen Kampf um eine Statusposition gerate, wird dies meinen Selbstwert beeinflussen.

«Schmerz hat ein grosses
Potenzial, Systemdynamiken
zu verändern.»

Wie hängen denn Schmerzen und Selbstwert zusammen?
Es gibt Zusammenhänge auf allen Ebenen. Wenn der Schmerz Beziehungen und Bindungen langfristig verändert, kann sich das Grundgefühl verändern. Falls mein Selbstwertgefühl davon abhängig ist, gesund und leistungsfähig zu sein, fordert der Schmerz die Selbstakzeptanz heraus. Wenn ich durch den Schmerz manche Dinge einfach nicht mehr kann, sinken Selbstwirksamkeit und Fähigkeitenpräsenz. Dass Schmerz ein grosses Potenzial hat, Systemdynamiken zu verändern, ist völlig klar.

 

Wie würdest Du die Scham mit dem Selbstwert verknüpfen?
Scham ist eng mit der Selbstakzeptanz verknüpft. Im evolutionspsychologischen Ansatz entsteht Scham, wenn ich befürchte, dass ich aus der Gruppe ausgeschlossen werden könnte, was früher tödlich war. Der Verhaltensimpuls ist, das, was mich ausschliessen könnte, zu verstecken, um die Gruppenzugehörigkeit zu sichern. Viele Schmerzpatienten versuchen zum Beispiel, ihre Problematik zu überspielen. Körpersprachlich erkennt man Scham an Unterwerfungsgesten. Wir signalisieren der Gruppe: Ich ordne mich unter und halte mich an eure Werte und Regeln. Scham ist das Gefühl, das ermöglicht, dass wir Normen, Werte und Regeln ausbilden und sich alle daran halten. Dies ermöglicht uns, als Gruppe zusammen zu leben und zu arbeiten, was unheimlich wichtig für unser Überleben ist. Ein weiterer Aspekt von Scham ist, dass ich Verhaltensweisen ausschliesse, weil ich denke, die anderen bewerten diese negativ. Hiermit geht oft extremes Selbstmonitoring einher. All dies belastet den Selbstwert und das Selbstverhältnis. Wenn sich dies wiederum auf das Verhalten oder andere genannte Aspekte auswirkt, entstehen Teufelskreise. Wenn ich spüre, dass, auch wenn ich meine Schmerzen zeige und offen und authentisch bin, Bindung und Zugehörigkeit erhalten bleiben, kann Scham sich zurückentwickeln. Viele Klient:innen machen diese Erfahrung zum ersten Mal im geschützten Rahmen der Therapie. Wir müssen dann schauen, wo und wie das auch ausserhalb der Therapie möglich werden könnte. Je mehr Erfahrungen von positiver Beziehung und Bindung entstehen, desto mehr löst Scham sich auf.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Frauke Niehues ist psychologische Psychotherapeutin und arbeitet in freier Praxis in Giessen. Zudem übt sie eine vielfältige Dozierendentätigkeit aus. Sie wird an der «5. Hypnosystemischen Tagung in Zürich» vom 20. bis 22. Juni 2025 auftreten. Am 18. /19. August 2025 wird sie zudem am IEF ein Fortbildungsseminar zu «Selbstwert, Selbstwirksamkeit und Selbstakzeptanz» anbieten.